gegen unrecht

Caritas: „Lebensretter oder Totengräber: Die Entscheidung ist noch nicht gefallen“

Landau und Schwertner ernüchtert bis enttäuscht. Landau: „Die Frage, was mit diesem Geld passiert, ist wie so viele andere Fragen allerdings noch ungeklärt.“

 

Caritas Präsident Michael Landau und Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, ziehen eine erste nüchterne bis enttäuschte Bilanz nach dem gestrigen EU-Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Landau: "Die Entscheidung, ob die EU künftig Lebensretter oder Totengräber sein möchte, ist auch gestern nicht gefallen." Landau begrüßte zwar die Tatsache, dass mehr Mittel für Menschenrettung zur Verfügung stehen, wie das aber im Rahmen des Grenzschutz-Abwehrsystems Triton möglich sein soll, ist völlig unklar. "Unsere Forderung nach einer echten Menschenlebenrettungsaktion Mare Nostrum 2.0 bleibt aufrecht. Und wir sind damit nicht allein. Diese Forderung wird bislang von 25.649 ÖsterreicherInnen mitgetragen. Denn zentral ist: Wenn mit dem Geld auch in Zukunft Grenzen anstelle von Menschen geschützt werden, wird das Massensterben von Frauen, Männern und Kindern auf der Flucht weitergehen." Schwertner ergänzend: "Das Mandat der Triton-Mission muss geändert werden. Wer den Notruf ruft, soll sich nicht nur bei uns, sondern auch im Mittelmeer darauf verlassen dürfen, dass die Rettung und keine Spezialeinheit der Polizei mit Sturmgewehren zur Hilfe eilt. Menschenrettung vor Grenzschutz."

Landau und Schwertner geben darüber hinaus zu bedenken, dass bei Triton im Vergleich zur Vorgänger-Mission Mare Nostrum bisher sehr viel weniger Rettungsboote im Einsatz waren. "Mare Nostrum verfügte über deutlich mehr Rettungsboote, über mehr Hubschrauber und Flugzeuge, die ausschließlich dem Retten von Menschenleben dienten. Das Versprechen, Mare Nostrum als Maßstab für die Zukunft zu nehmen, wurde auch gestern nicht gegeben", betonte Schwertner. Und Landau: "Es wird auch künftig nicht genügen, die Küsten Europas vor schutzsuchenden Menschen zu schützen. Der Einsatzradius von Triton muss deutlich ausgeweitet und zu einem echten Rettungsradius werden. Mare Nostrum hat Menschenleben im Mittelmeer gerettet - ganz gleich, wo die Boote kenterten. Dieses Bekenntnis muss auch für die Zukunft gelten."

 

Fassungslos angesichts Militäreinsatz 

Der Vorschlag der Staats- und Regierungschefs, sogenannte Schlepper-Boote an der nordafrikanischen Küste mit Militäreinsätzen zu zerstören, entbehrt in den Augen der Caritas-Verantwortlichen jeglicher Grundlage. "Dieser Vorschlag macht die Rat- und Hilflosigkeit der verantwortlichen PolitikerInnen deutlich", so Schwertner. "Die Menschen werden schlichtweg noch klapprigere Boote oder gar Schlauchboote benutzen, um über das Mittelmeer zu gelangen. Wir erleben in und um Syrien in diesen Tagen die schlimmste Flüchtlingskatastrophe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wir sind als Caritas vor Ort und versuchen, mit Nothilfe das Überleben von Flüchtlingen zu sichern. Diese Menschen mit Waffen an ihrer Flucht hindern zu wollen, macht uns fassungslos."


Legale Wege nach Europa schaffen! 

Landau: "Wer Schleppern das Handwerk legen möchte, muss schutzsuchenden Menschen die Möglichkeit geben, auf legalem Weg Europa zu erreichen und in sicherer und legaler Weise einen Asylantrag zu stellen. Flucht ist kein Verbrechen. Asyl ist internationales Recht! Doch die gegenwärtige Gesetzeslage macht aus Flüchtlingen Gesetzesbrecher. Wir benötigen in diesen Tagen Flüchtlingskorridore, ein Bekenntnis zu einem europaweiten Resettlment-Programm aller EU-Nationalstaaten und zur Vergabe von humanitären Visa. Hier könnte auch ein kleines Land wie Österreich eine internationale und große Vorreiterrolle einnehmen. Ein erster Schritt ist getan."

 

Dasselbe gelte auch für die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit. Schwertner: "In der Diskussion wird häufig so getan, als gebe es nur Brüssel und kein Wien mehr: Wenn wir die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit erhöhen wollen, müssen wir das im österreichischen und nicht im Europa-Parlament beschließen. Wir brauchen in diesem Bereich eine echte Schubumkehr und zumindest eine Verdoppelung der Mittel für die direkte Entwicklungszusammenarbeit sowie die Aufstockung des Auslandskatastrophenfonds von 5 auf 20 Millionen Euro wie auch im Regierungsprogramm vorgesehen."

 

Wenig zuversichtlich stimmt Landau und Schwertner die Tatsache, dass es den Staats- und Regierungschefs selbst gestern im Angesicht der Katastrophe nicht gelang, sich auf einen fixen Schlüssel zur Verteilung von Flüchtlingen auf die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu einigen. "In einem vereinten Europa grenzt das Mittelmeer nicht nur an Länder wie Italien oder Griechenland, sondern auch an Österreich, an die Slowakei oder Großbritannien", betonte Landau. "Jeder Mitgliedstaat sollte seiner Verantwortung gemäß der Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft nachkommen müssen. Hier unterstütze ich die Bemühungen der Innenministerin und des Bundeskanzlers ausdrücklich."

 

Petition unterzeichnen! 

Abschließend appellierten Landau und Schwertner an die österreichische Bevölkerung, die Petition "Stoppen wir das Massensterben im Mittelmeer" zu unterzeichnen. "Jeder und jede von uns kann ein Zeichen setzen und dadurch der Bundesregierung Mut und Sicherheit für ihre Entscheidungen zusprechen", sagt Schwertner. "Die Botschaft soll laut und unmissverständlich sein: Wir wollen im Mittelmeer nicht über Leichen gehen! Eine andere Politik ist möglich."

 

Bislang haben bereits 25.649 ÖsterreicherInnen die Petition auf www.gegen-unrecht.at unterzeichnet und sich somit laut und deutlich für eine andere europäische Flüchtlingspolitik ausgesprochen - für Menschenrechte und Lebensrettung. Das Motto: "Stoppen wir das Massensterben im Mittelmeer!"