Fachveranstaltung zeigt auf, was Kinder und Jugendliche nach der Flucht brauchen

SOS-Kinderdorf und Caritas ermöglichen Austausch von Wissenschaft und Praxis – große Hindernisse für Integration durch gesetzliche Ungleichbehandlung

 

„Was brauchen Kinder und Jugendliche nach der Flucht?“ Diese Frage steht im Mittelpunkt der heutigen Fachveranstaltung „an[ge]kommen – Kinder nach der Flucht“, die im Vorfeld des Tags der Kinderrechte am 20.11. in der Brotfabrik in Wien-Favoriten stattfindet. „Zusätzlich zu den zahlreichen raschen Hilfeleistungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge so vieler Organisationen seit dem Herbst 2015 braucht es unbedingt auch eine wissenschaftlich basierte Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Perspektiven unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge“, so Elisabeth Hauser, Leiterin des Fachbereichs Pädagogik von SOS-Kinderdorf. 

 

„Wir müssen alle Kinder und Jugendliche auf dem Weg in eine bessere Zukunft unterstützen. Das heißt: gleiche Rechte, gleicher Schutz, gleiche Aufmerksamkeit und gleiche Chancen. Ein Kind ist ein Kind, egal wo seine Wiege stand“, betont Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien.

 

Für einen uneingeschränkten Zugang von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung zu einer bedürfnisorientierten Betreuung, Beratung und Förderung gibt es drei wesentlichen Voraussetzungen – eine rechtliche Gleichstellung durch den Gesetzgeber, eine institutionelle Umsetzung dieser Gleichstellung sowie einen professionellen Umgang der einzelnen Fachkräfte mit dieser Gruppe von Kindern und Jugendlichen.

 

Gesichertes Wissen für die Praxis

„Für Letzteres bieten wir unseren Kolleginnen und Kollegen in der pädagogischen Praxis verschiedener Organisationen durch diese Fachveranstaltung den neuesten Stand des Wissens aus der Forschung in den Bereichen Bildung, Unterbringung, Therapie und Integration“, erklärt Hauser. „Die Tatsache, dass wir bei SOS-Kinderdorf eine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung haben, ermöglicht es uns, eine derartige Veranstaltung umzusetzen und in der täglichen Arbeit den Austausch zwischen Forschung und Praxis zu forcieren.“

 

Vom Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende Hemayat berichtet Sonja Brauner über die Schicksalslinien geflohener Kinder aus therapeutischer Sicht. Patricia Velencsics vom Caritas Bildungszentrum wirft in ihrem Vortrag einen Blick auf die Situation junger Flüchtlinge, die sich sehnlichst wünschen in die Schule gehen zu können. Dem Thema Präventionsarbeit mit Jugendlichen, die mit (neo-)salafistischen Strömungen sympathisieren, wird im Vortrag von Fabian Reicher von Back Bone – Mobile Jugendarbeit ein Schwerpunkt gewidmet.

 

Zum Thema „Integration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung – Chancen und Herausforderungen“ diskutieren am Podium Experten aus den Bereichen Politik, Recht, Therapie und Pädagogik gemeinsam mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft sowie zwei geflüchteten Jugendlichen. Beim Infomarkt am Nachmittag stellen sich verschiedene Organisationen unter Beteiligung der Kinder und Jugendlichen vor und haben Gelegenheit ihre Erfahrungen aus der Praxis auszutauschen.

 

Große Hindernisse durch Chancenungleichheit

Im Vortrag von Karl Weber, Professor für öffentliches Recht an der Uni Innsbruck, und Claudia Grasl, Kinderrechtsexpertin von SOS-Kinderdorf, wird ein besonderer Blick auf die rechtliche Stellung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen geworfen. Denn nach wie vor wird diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen in vielen Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert, wie zuletzt ein Gutachten der Uni Innsbruck festgestellt hat.

 

„Daher fordern wir im Hinblick auf den Tag der Kinderrechte einmal mehr die Einhaltung der Kinderrechte für alle Kinder“, so Hauser. „Unter dieser Voraussetzung könnten Kinder und Jugendliche, die alleine nach Österreich geflüchtet sind, altersadäquat untergebracht werden.“ Es brauche dafür kleine Einheiten, um eine persönliche und individuelle Betreuung zu ermöglichen. Dies erhöhe nachweislich die Zukunftschancen für jedes Kind und schütze vor Radikalisierung und Abschottungstendenzen.

 

Bildungschancen für alle gefordert

Gerade die Teilhabe am Regelschulbetrieb ist für geflüchtete Kinder und Jugendliche ein wesentlicher Faktor für eine erfolgreiche Integration. Die deutsche Sprache wird viel schneller erlernt, die Möglichkeit einen Schulabschluss zu machen ist Grundvoraussetzung für die Verwirklichung von Zukunftsplänen und den Weg zur Verselbstständigung. „Es ist ganz entscheidend, sich damit zu beschäftigen, wie sich unser Bildungssystem auf Herausforderungen durch sprachliche Hürden, extrem heterogene Bildungsbiografien, andere kulturelle Hintergründe und traumatisierende Erfahrungen dieser Gruppe von Kindern und Jugendlichen einstellen kann“, betont Hauser.

 

Für die große Gruppe der über 15-Jährigen stehe aber leider noch ganz ein anderes Problem im Wege, da sie generell vom Bildungsweg ausgeschlossen und zum Nichtstun gezwungen seien. „Wir erleben täglich, was alles möglich ist, wenn diese so motivierten Jugendlichen die Chance bekommen zu lernen – es darf nicht dem Zufall überlassen sein, wer diese Chancen bekommt“, fordert Hauser.

 

Mangelware Therapieplätze

Krieg und Gewalt hinterlassen tiefe Spuren. Psychotherapieplätze gibt es generell für Kinder und Jugendliche in Österreich viel zu wenige. Um therapeutisch arbeiten zu können, braucht es neben der Expertise für Traumatisierungen dieser Art auch Hintergrundwissen die unterschiedlichen Kulturen betreffend und im besten Fall auch Sprachkenntnisse in der Muttersprache der Patientinnen und Patienten.