Zehn Jahre 24-Stunden-Betreuung in Österreich

Sozialorganisationen fordern neuerliche politische Anstrengungen, um das Modell weiterzuentwickeln und abzusichern

 

Die Bundearbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG) nimmt das zehnjährige Bestehen der 24-Stunden-Betreuung in Österreich zum Anlass, um nötige Entwicklungsschritte in dieser vergleichsweise jungen Branchen einzufordern. Für die Trägerorganisationen Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe steht fest, dass es die richtige Entscheidung war, die Dienstleistung aus der Illegalität zu holen, sagt der Direktor der Volkshilfe Österreich und zugleich aktueller Vorsitzender der BAG, Erich Fenninger: „Knapp sechs Prozent aller PflegegeldbezieherInnen nutzen diese Form der Betreuung und etwa 62.000 PersonenbetreuerInnen mit aktivem Gewerbeschein bieten hierzulande ihre Dienste an. Im Sinne einer alternden Gesellschaft muss das Modell jedoch weiterentwickelt und qualitativ sowie ökonomisch abgesichert werden.“

1. Leistbarkeit sicherstellen, Förderung valorisieren und kontrollieren

Aufgrund einer nicht erfolgten Wertanpassung müssten Menschen, die Personenbetreuung in Anspruch nehmen, heute einen wesentlich höheren Anteil an den Gesamtkosten selbst tragen, als vor zehn Jahren, zeigt Monika Wild, Leiterin des Bereichs Einsatz und Gesundheit des Österreichischen Roten Kreuzes auf: „Die Förderung von 550 Euro pro Betreuungsmonat ist seit ihrer Einführung im Jahr 2007 nominell gleich geblieben. Das bedeutet real eine massive Entwertung: In Zahlen sind es über 15 Prozent oder 84 Euro pro Monat, die die Förderung an Kaufkraft verloren hat.“ Es sei ein Gebot der Fairness und der sozialen Gerechtigkeit, die Förderung umgehend zu valorisieren, so Monika Wild weiter: „Alle Menschen sollen weiterhin Zugang zum gesamten Dienstleistungsspektrum haben.“ Gleichzeitig müsse der Fördergeber aber auch die Kontrolle der Leistungen in einem stärkeren Ausmaß als bisher sicherstellen, wie es auch bei mobilen und stationären Pflege- und Betreuungsleistungen in Österreich der Fall ist.

2. Qualitätsstandards verbindlich und flächendeckend umsetzen

Für die Vermittlung und Organisation von Personenbetreuung durch Vermittlungsagenturen gelten eigene Standesregeln, um gewisse Gütekriterien in der Organisation und Vermittlungsarbeit sicher zu stellen. Leider wird die Einhaltung der Standesregeln derzeit nicht gut geprüft und geht aus Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt nicht weit genug. Deshalb hat die BAG im Jahr 2015 einen gemeinsamen freiwilligen Katalog von Qualitätskriterien erarbeitet, sagt Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin Hilfswerk Österreich: „Unter dem Label „Sicher. Kompetent. Fair“ haben wir uns gegenüber Menschen mit Betreuungsbedarf und ihren Familien sowie auch gegenüber PersonenbetreuerInnen zur Umsetzung entsprechender Standards verpflichtet und können so beiden Gruppen Qualität, Transparenz, Sicherheit und Fairness bieten.“ Was fehlt, seien an die Förderung gekoppelte, verbindlich für alle MarktteilnehmerInnen geregelte Mindeststandards: „Die erprobten Standards unserer Qualitätslabels können ein Maßstab dafür sein.“

3. Qualität für alle Betroffenen ermöglichen (Modell 24-Stunden-Betreuung plus)

Ein wesentliches Kriterium für gelingende Personenbetreuung, gerade bei Menschen mit spezifischen Anforderungen, sei eine gezielte fachliche bzw. fachpflegerische Begleitung durch eine einschlägige Fachkraft, die insbesondere die PersonenbetreuerInnen bei ihrer Arbeit unterstützt. Derzeit müssten die Familien selbst dafür aufkommen – ein Umstand, der viele aus Kostengründen davon abhalten würde, die notwendige fachliche Expertise zur 24-Stunden-Betreuung dazu zu holen, sagt Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich: „Wir fordern, diese Lücke durch die Einführung eines Betreuungsmodells 24-Stunden-Betreuung plus zu schließen. Mit einer zusätzlichen Förderung durch die öffentliche Hand für diese Besuche durch eine Pflegefachkraft soll eine qualitätsvolle und stabile, auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte Betreuungssituation in den Haushalten gefördert, und auch für Menschen mit weniger großen Geldbörsen der Zugang zu einer bedarfsorientierten, qualitätsvollen Personenbetreuung sichergestellt werden.“

4. Fortbildungsangebote nach dem Vorbild anderer Berufsgruppen

Nicht zuletzt seien wie in jeder anderen Berufsgruppe Fortbildungsmaßnahmen auch in der Branche der Personenbetreuung für die Qualität der Dienstleistung ausgesprochen förderlich, sagt Bernd Wachter, Generalsekretär der Caritas Österreich: „Gerade der Umgang mit belastenden Arbeitssituationen wie etwa im Fall von Demenz oder auch Mobilisation und Konfliktmanagement will gelernt sein. Mit dem Aufbau eines Regelsystems für die Fortbildung von PersonenbetreuerInnen würde sich die Betreuungsqualität flächendeckend steigern lassen.“ Dazu brauche es ein gemeinsames System von definierten Kursinhalten und geregelten Finanzierungsstrukturen, das für alle AnbieterInnen von Fortbildungen für PersonenbetreuerInnen offen steht. 

Abschließend betont Erich Fenninger, dass das Wohl der zu Betreuenden und Fairness gegenüber den BetreuerInnen im Mittelpunkt stehen muss: „So lange wie möglich im eigenen Zuhause leben, auch wenn Pflege und Betreuung notwendig werden: Das ist der Wunsch vieler Menschen. Für eine künftig tragfähige Gestaltung dieses Angebots bedarf es – wie in der Entstehungsphase – einer neuerlichen politischen Anstrengung, um das Modell der 24-Stunden-Betreuung zukunftsfit zu halten.“

 

(Presseaussendung Volkshilfe Österreich 31.7.2017)