Das Podium bei den Integrationsgesprächen Neunkirchen.

„Migration gehört zum Menschen wie leben, lieben und sterben“

Neunkirchen – Am 17. April 2018 ging die neueste Auflage der Integrationsgespräche zum Thema „Lebenswelten türkeistämmiger Wirtschaftstreibender“, welche die Caritas und die Stadtgemeinde Neunkirchen organisierten, über die Bühne. Die rund 30 Teilnehmenden diskutierten mit den ReferentInnen Sylvia Hahn, Josef Braunstorfer, Kübra Atasoy-Özoğlu und Edip Bayızıtlıoğlu, unter der Moderation von Hikmet Arslan über die wirtschaftliche Selbständigkeit der türkeistämmigen MitbürgerInnen. Im Laufe der Veranstaltung wurde deutlich, dass es nicht nur unterschiedliche Perspektiven, sondern auch viel Austausch- und Diskussionsbedarf zum Thema gibt. Zusätzlich bereichert wurde die Veranstaltung durch die Teilnahme von lokalen UnternehmerInnen. 

„Selbständig sein heißt, selbst und ständig zu arbeiten“

In Neunkirchen sind 25 Prozent der Selbständigen keine österreichischen StaatsbürgerInnen, informierte der Neunkirchner Bezirksstellenleiter der Wirtschaftskammer Niederösterreich, Josef Braunstorfer. Die Rolle der Wirtschaftskammer sei es, als Beratungsstelle für Selbständige zu fungieren, wobei nicht unterschieden werde, „ob jemand Österreicher ist oder Türke. Es gibt in Österreich die Gewerbeordnung und die muss man lernen“, fügte Braunstorfer hinzu. Vielen sei aber die Herausforderung einer Selbständigkeit nicht klar, daher betone er in seinen Beratungen: „Selbstständig zu sein heißt, selbst und ständig zu arbeiten.“ Als erfolgreicher Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft erklärte Edip Bayızıtlıoğlu, dass selbständig werden „auch mit Mut zu tun“ habe. Man müsse innovativ sein und nicht immer das Gleiche wie die anderen machen. Bayızıtlıoğlu hätte es als türkeistämmiger Unternehmer nicht einfacher oder schwerer als andere Selbständige in Österreich gehabt, „aber eine gewisse ‚Basarmentalität‘ der Türken hilft schon auch.“ Um einen Standort für Selbstständige attraktiv zu machen, sei es wichtig, auf die Möglichkeiten und Vorteile zu fokussieren und nicht auf die Hindernisse, erläuterte der Unternehmer. 

Menschen sind schon immer gewandert

Unter den Türkeistämmigen könne Selbständigkeit und Unselbstständigkeit auch im selben Lebenslauf vorkommen und verändere sich nicht nur über Generationen hinweg, führte Sylvia Hahn, Historikerin und Vizerektorin für Internationale Beziehungen und Kommunikation der Universität Salzburg, aus. „Das bewundere ich sehr. Vielleicht hat das mit dieser ‚Basarmentalität‘ zu tun. MigrantInnen aus Südosteuropa wagen diesen Schritt häufiger“, stellte Hahn fest. Die Historikerin betonte, dass Menschen schon immer gewandert sind: Daher gehöre (Arbeits-)Migration zum Menschen, „wie leben, lieben, heiraten und sterben.“ Als Vorsitzende von einem Verein zur Förderung der ArbeiterInnenkultur beschäftigte sich Kübra Atasoy-Özoğlu mit Arbeits- und Fremdenrecht in Österreich und wies darauf hin, „dass Arbeitsmigration eng mit dem Fremdenrecht zusammenhängt.“ Da die Aufenthaltserlaubnis für die Gastarbeitergeneration jeweils nur ein Jahr betrug und regelmäßig verlängert werden musste, führte dies auch zur Einstellung der damaligen MigrantInnen, irgendwann wieder zurückzukehren. Die Selbständigkeit sei auch ein Schutz gegen Arbeitslosigkeit gewesen, um die Aufenthaltserlaubnis zu sichern, ergänzte Hahn. Einig waren sich Hahn und Atasoy-Özoğlu auch, dass die GastarbeiterInnen viele Branchen, die „vom Aussterben bedroht waren, wiederbelebt haben.“ Ein prominentes Beispiel dafür seien die Wiener Märkte in den 1980ern: „Die Märkte in Wien, vom Naschmarkt bis nach Favoriten, stehen eng in Verbindung zur Arbeitsmigration“, so Atasoy-Özoğlu.

Das diverse Podium mit VertreterInnen aus Wirtschaft, Sozialpartnerschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft förderte spannende Diskussionen mit den StadträtInnen und BürgerInnen, welche am Ende der Veranstaltung beim Buffet weitergeführt wurden. 

Die nächste Veranstaltung zum Thema „Vom Gastarbeiterkind zur Akademikerin. Lebenswelten türkeistämmiger Kinder und Jugendlicher“ findet am 16. Mai 2018 in Neunkirchen statt. 

Nähre Informationen zu ZusammenReden finden Sie hierhttps://www.caritas-wien.at/hilfe-angebote/asyl-integration/miteinander/zusammenreden/

 

„ZusammenReden“ ist ein Projekt der Caritas Wien (Missing Link). Es wird vom Land Niederösterreich gefördert und in Kooperation mit den Gemeinden Korneuburg und Neunkirchen durchgeführt.