Wie ein Kinderhospiz die Gesellschaft verändert

Im Großraum Wien leben 800 Kinder und Jugendliche mit einer lebensverkürzenden Krankheit. Rund 100 dieser jungen PatientInnen werden laufend von Wiens mobilem Kinderhospiz und Kinderpalliativteam MOMO betreut. Die positiven Effekte dieser Begleitung wirken weit über die Betroffenen und ihre Familien hinaus, wie WissenschaftlerInnen der Wirtschaftsuniversität Wien herausgefunden haben.  

Im März 2013 wurde Wiens mobiles Kinderhospiz MOMO von Caritas, CS Caritas Socialis und der mobilen Kinderkrankenpflege MOKI-Wien gegründet. Mehr als 350 schwerstkranke Kinder und Jugendliche hat MOMO in den sieben Jahren seit seiner Gründung begleitet und unterstützt. Aktuell besucht das Kinderhospiz und Kinderpalliativteam rund 100 Familien in Wien. „Unser wichtigstes Ziel ist, den kleinen Patientinnen und Patienten durch bestmögliche medizinische und therapeutische Begleitung ein Leben zuhause bei ihren Familien zu ermöglichen“, erklärt Dr. Martina Kronberger-Vollnhofer, Gründerin und Leiterin von MOMO. Damit das gelingen kann, ist die Organisation multiprofessionell aufgestellt. KinderärztInnen und PalliativmedizinerInnen, Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, Sozialarbeiterinnen, Gesundheitspsychologinnen, Physio- und Musiktherapeutinnen, eine Seelsorgerin und 48 ehrenamtliche HospizbegleiterInnen unterstützen die Familien medizinisch, therapeutisch, psychosozial und bei ihren ganz alltäglichen Aufgaben.  

„Wenn wir von Kinderpalliativ- und Kinderhospizarbeit reden, dann reden wir von Lebensbegleitung, die manchmal nur wenige Wochen, meist aber viele Monate, sogar Jahre andauern kann“, betont Kronberger-Vollnhofer. „Es geht um Gemeinsamkeit, um gegenseitige Stärkung, um Berühren und Berührt-Sein, es geht um die vielen guten Momente im Alltag, die es trotz aller Schwierigkeiten natürlich auch gibt.“

 

Kinderhospizarbeit bereichert die Gesellschaft

Diesen systemischen Grundgedanken haben die WissenschaftlerInnen des Kompetenzzentrums für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship an der WU Wien zum Ausgangspunkt ihrer Evaluierung gemacht. Über persönliche Gespräche kombiniert mit einer Online-Umfrage haben sie den gesellschaftlichen Mehrwert erhoben, der sich aus der Arbeit des Kinderhospiz- und Kinderpalliativteams MOMO ergibt. Ihren Fokus richteten die WissenschaftlerInnen dabei einerseits auf die pädiatrische Hospiz- und Palliativversorgung in Wien, andererseits auf spezifische Personengruppen und Organisationen.  

„Unsere Analyse zeigt eindeutig, dass die positiven Effekte der Arbeit von MOMO weit über den unmittelbar betroffenen Personenkreis der Familien hinauswirken“, betonen die AutorInnen Flavia-Elvira Bogorin, Eva More-Hollerweger und Daniel Heilig unisono. MOMO nehme im Gesamtsystem der pädiatrischen Hospiz- und Palliativversorgung eine zentrale Rolle ein und trage wesentlich zur Aufrechterhaltung des Systems bei. 

„Auffallend war allerdings die starke Stigmatisierung des Palliativ- und Hospizbegriffs im Allgemeinen und die hohe Hemmschwelle in Bezug auf Kinder im Besonderen“, betont Eva More-Hollerweger. „Das Gespräch über schwerstkranke Kinder wird gesellschaftlich gemieden.“

 

Wir müssen hinschauen, um das Leben schwerkranker Kinder zu verbessern

Diese Erfahrung machen Martina Kronberger-Vollnhofer und ihr Team nahezu täglich. Deshalb ist sie überzeugt: „Wir brauchen einen besseren Zugang zu Krankheit und Tod, und wir brauchen eine andere Sichtweise auf das, was wir für normal halten. Für MOMO-Familien ist das Leben mit der Krankheit Alltag. Unsere gemeinsame Aufgabe ist herauszufinden, wie viel trotz dieser Krankheit möglich ist und wie wir das Leben aller etwas leichter und schöner gestalten können.“

Deshalb spricht sich Kronberger-Vollnhofer auch für eine verstärkte Teilhabe schwerkranker Kinder am gesellschaftlichen Leben aus. „Sie haben genau so ein Recht darauf, gesehen und angenommen zu werden wie alle anderen Kinder.“ Um diesen gesellschaftlichen Raum zu schaffen, will sie die öffentliche Diskussion rund um dieses Thema verstärken. Schließlich nimmt die Zahl chronisch kranker Kinder und damit der Bedarf an palliativmedizinischer Begleitung Jahr für Jahr zu. Durch den enormen medizinischen Fortschritt der letzten Jahre können immer mehr Kinder, die von Geburt an chronisch krank sind und einen hohen Pflegeaufwand erfordern, mit ihrer Erkrankung länger leben. 

„Es wird also immer mehr Familien geben, die Unterstützung von Organisationen wie MOMO brauchen. Zentrales Ergebnis der Studie war, dass MOMO dazu beiträgt, dass die betroffenen Familien ein qualitätsvolleres Leben haben, weil sehr individuell und mit großem Know-How auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird“, so More-Hollerweger. „Auch aus diesem Grund ist es wichtig, die Themen Kinderpalliativmedizin und Kinderhospiz von ihrem Stigma der ausschließlichen Sterbebegleitung zu befreien.“

Ein höheres Bewusstsein für den Bedarf an Kinderhospizplätzen und palliativmedizinischer Versorgung von Kindern und Jugendlichen könnte auch dazu führen, dass sich mehr ÄrztInnen sowie Gesundheits- und Krankenpflegerinnen für ein Engagement in diesem so wichtigen Bereich entscheiden.  „Wir sind schon heute dringend auf der Suche nach Kolleginnen und Kollegen mit fachspezifischer Ausbildung, um unser medizinisches und pflegerisches Team zu vergrößern“, betont Kronberger-Vollnhofer. 

Gespräche mit ÄrztInnen und Pflegerinnen aus dem MOMO-Team bestätigen eine sehr hohe Arbeitszufriedenheit, so das Ergebnis der Evaluierung. Doch nicht nur sie, auch viele andere Personengruppen und Organisationen spüren und erfahren positive Effekte durch das Engagement des Kinderhospiz- und Kinderpalliativteams MOMO.

 

Das Ergebnis der Evaluierung im Detail

Die StudienautorInnen haben im Wesentlichen acht Zielgruppen definiert, die die positiven Effekte der Arbeit von MOMO besonders stark erleben.

  • Mehr Lebensqualität für die kleinen Patientinnen und Patienten:
    Das gesamtheitliche, individuelle und bedarfsorientierte Betreuungskonzept von MOMO ermöglicht die Betreuung der Kinder und Jugendlichen zu Hause, fördert ihre Lebensqualität und ihr psychisches Wohlbefinden.

  • Sicherheit und Unterstützung für Eltern und Familienangehörige:
    Die ärztliche, pflegerische und therapeutische Unterstützung durch MOMO gibt den Eltern und allen betreuenden Personen Sicherheit in der täglichen Versorgung ihrer Kinder. Die Kombination vieler unterschiedlicher Berufe macht MOMO zur One-Stop-Anlaufstelle für Eltern und Angehörige. Durch die umfangreiche Unterstützung von MOMO haben Eltern und Angehörige mehr freie Ressourcen für die gesamte Familie. 

  • Aufmerksamkeit für Geschwisterkinder:
    Die hohen betreuerischen Anforderungen an Pflegende schwerstkranker Kinder führen meist unweigerlich dazu, dass Geschwisterkinder weitgehend auf sich allein gestellt sind. Deshalb schenkt das ehrenamtliche Betreuungsteam von MOMO ihnen besonders viel Aufmerksamkeit.

  • MitarbeiterInnen erleben ihre Arbeit als sinnstiftend
    Die hauptamtlichen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von MOMO erleben ihre Arbeit als besonders sinnstiftend. Sie schätzen das starke Teamgefühl und die Sensibilisierung für palliativ- und hospizbezogene Themen. 

  • Entlastung für die KooperationspartnerInnen, Behörden und verwandte Organisationen (Krankenhäuser, Spezialeinrichtungen)
    Kooperationspartner und Behörden profitieren vom umfassenden Wissen des MOMO-Teams über die PatientInnen. Die organisatorische Unterstützung der Familien durch MOMO (Terminvereinbarung, Einhaltung von Behandlungsplänen etc) entlastet Kooperationspartner wie Spitäler oder Reha-Zentren, Behörden und Organisationen und führt damit zu Arbeits- und Kostenersparnis. 

  • Diversifizierung im Fonds Soziales Wien und im Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen
    MOMO entlastet diese beiden Einrichtungen in ihrem Auftrag, bedürftige Menschen mit entsprechenden Leistungen zu versorgen und vertieft die Diversifizierung des Betreuungsangebots.

  • Für die Sozialversicherungsträger
    Über die Schaffung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen erbringt MOMO Mehrwert durch Dienstnehmer- und Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Gleichzeitig werden die Sozialversicherungen finanziell entlastet, weil die Betreuungsarbeit überwiegend in den Familien und nicht in stationärer Versorgung erfolgt.

  • Für SponsorInnen und SpenderInnen
    Sie gewinnen das gute Gefühl, eine Organisation zu unterstützen, die sich einer bedeutsamen Arbeit widmet und eine Lücke im Sozialsystem schließt. Darüber hinaus leisten sie auch einen erheblichen Beitrag zum gesellschaftlichen Gespräch über Hospizarbeit.

 

Über die Studie

Projektträger: Wiens mobiles Kinderhospiz und Kinderpalliativteam MOMO

Durchführung: Kompetenzzentrum für Nonprofit-Organisationen und Social Entrepreneurship an der WU Wien 

AutorInnen:  Flavia-Elvira Bogorin, Eva More-Hollerweger, Daniel Heilig

Förderung: Medizinisch-wissenschaftlicher Fonds des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien

Studiendesign: 
Analysezeitraum: 2013 – 2020 (April)
Dauer der Analyse: 10 Monate
Fertigstellung: Juni 2020
Qualitative Erhebung mittels persönlicher Interviews (17 Gespräche)
Online-Erhebung bei SpenderInnen

Zum Download der Studie