"Werte kommen aus der Wirtschaft, nicht aus der Ethik"

Bild v.l.: Christoph Riedl, Eva Maria Bachinger, Gerhard Grundtner, Bernhard Perchinig, Martin Fasan, Nadja Lehner, Pelin Özmen


Im Fokus der Integrationsgespräche, welche Caritas und Stadtgemeinde Neunkirchen am 24. Oktober 2017 organisierten, war der Einfluss von Geld, Status und Gesetzen auf die aktuelle Integrationsarbeit in Österreich. Die rund 50 Gäste tauschten sich mit den ExpertInnen Eva Maria Bachinger, Christoph Riedl, Gerhard Grundtner und Bernhard Perchinig unter der Moderation von Nadja Lehner über die ökonomischen und sozialen Voraussetzungen für die Integration von Neuzugewanderten aus. Rege diskutiert wurde insbesondere über die gesetzlichen Neuerungen sowie deren Auswirkungen auf Asyl und Integration.

Europa braucht Migration
Politikwissenschafter Perchinig, der vor allem auf die europäischen Rahmenbedingungen der Integrationspolitik einging, erklärte, dass in der Europäischen Union viele Staaten Integration als Verpflichtung der Neuzugewanderten verstehen. Jedoch werde gleichzeitig kaum eine Verpflichtung zu Integrationsbemühungen an die jeweiligen Staaten formuliert. Nichtsdestotrotz sei man sich auf europäischer Ebene einig, dass Integration von Anfang an gefördert werden sollte und man nicht, wie das früher der Fall war, erst auf die Statuszuerkennung warten sollte. Schließlich sei sich die EU im Klaren darüber, dass Europa Migration brauche. Asylexperte Riedl teilte außerdem die Position Perchinigs, dass die Aufteilung der Agenda Integration auf zwei Ministerien in Österreich, nämlich dem Innen- und dem Außenministerium, die Integrationsarbeit erschwere.

Erstmals Rechtsanspruch auf Deutschkurse
Zudem kritisierte Riedl das aktuelle Integrationsgesetz, das in den Medien auch als „Burkagesetz“ bekannt ist, „da das Gesetz aufzeigt, wie in Österreich Politik gemacht wird – und zwar Symbolpolitik.“ Das Integrationsgesetz sei stark defizitorientiert und handle davon, was Neuzugewanderte alles leisten müssen, schaue aber nicht auf Ressourcen, Begabungen und Kompetenzen. Das Positive am besagten Gesetz sei aber, dass erstmals im Gesetz ein Rechtsanspruch auf Deutschkurse für Neuzugewanderte verankert sei. Es brauche unbedingt ein gemeinsames Integrationskonzept in Österreich für alle Bundesländer. Beispielsweise sei der 50 Punkte Plan des Integrationsministeriums vom Bund ohne Zusammenarbeit mit den Ländern erstellt worden, obwohl die Umsetzung der „50 Punkte“ mehrheitlich in der Kompetenz der Länder liege. Kritisiert wurden auch die Mindestsicherungskürzungen in einigen Ländern, da die Mindestsicherung für die Geflüchteten „ein Sprungbrett in die Selbstständigkeit“ sei.

Grundprinzipien statt Werte
An den Diskussionen über Integration bemängelte Bachinger, freie Journalistin und Autorin, dass viel über Religion und Kultur gesprochen werde, aber nicht über die soziale Frage. „Beispielsweise wird – fälschlicherweise – behauptet, dass ein Flüchtling mit der Mindestsicherung mehr Geld bekommt als eine Mindestpensionistin, aber niemand fragt, wieso die Pensionistin so wenig bekommt.“ Die aktuellen Debatten, vor allem über Werte, seien ein Ablenkungsmanöver, um nicht über die sozialen Fragen zu sprechen. Die Autorin stellte zudem fest, dass der Begriff „Werte“ ursprünglich aus der Wirtschaft komme, aber eigentlich in der Verfassung verankerte und historisch etablierte Grundprinzipien gemeint seien, wenn von Werten gesprochen werde. Daher plädierte sie auch für eine Umbenennung der „Wertekurse“ hin zu „Informations- und Orientierungskursen“, um eine Entwertung Zugewanderter zu vermeiden. 

Gemeinsam mit den ExpertInnen formulierten die teilnehmenden Gäste Handlungsoptionen und Zukunftsvisionen und gingen der Frage nach, was in der Gemeinde noch konkret getan werden könnte, um Integration zu fördern. Grundtner von der Initiative „Neunkirchen hilft“ ermunterte das Publikum dazu, sich ehrenamtlich zu engagieren und nannte das Andocken der Neuzugewanderten an die heimische Bevölkerung als größte Herausforderung vor Ort.

Die nächste Veranstaltung zum Thema „Islam im Fokus“ findet am 9. November 2017 in St. Andrä-Wördern statt. Nähre Informationen finden Sie unter: www.caritas-wien.at/zusammenreden

„ZusammenReden“ ist ein Projekt der Caritas Wien. Es wird vom Land NÖ gefördert und in Kooperation mit den Gemeinden Korneuburg, St. Andrä-Wördern, Neunkirchen und Ebreichsdorf durchgeführt.