Das österreichische Gesundheitssystem „migrationsfit“ machen

Globale Migration ist zur sozialen Realität geworden. Auch in Zukunft werden immer neue Menschengruppen ihren Weg nach Österreich finden, und sie haben ein Anrecht auf eine optimale Gesundheitsversorgung. Österreichs Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt, doch finden MigrantInnen oft nur schwer den Zugang zu Angeboten. Wie muss sich das österreichische Gesundheitssystem also verändern, um „migrationsfit“ zu werden?
Über mögliche Lösungsansätze rund um Sprache, soziale Benachteiligung, aber auch Alter, Sterben und Tod diskutierten rund 60 interessierte Wiener NeustädterInnen mit Ekim San (FEM Süd, Klinische und Gesundheitspsychologin), Siegrid Wistrcil (Zentrum für Frauen-gesundheit, Caritas Wien, Elisabeth Wesselmann (Interkulturelles Gesundheitsmanagement) und Sonja Novak-Zezula (Center for Health and Migration, Wien) unter der Moderation von Thomas Schmidinger (Universität Wien, FH Vorarlberg).


Professionalisierung der Dolmetschdienste als Innovation im Gesundheitswesen
Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten gehören zu den wesentlichsten Zugangs-barrieren im Gesundheitsbereich. Das Dolmetschen durch Angehörige oder nicht-medizinisches Personal ist zwar letztendlich unverzichtbar, doch auch extrem fehleranfällig: die Fehlerquote liegt bei bis zu 55%, so Elisabeth Wesselmann. Auch führe es dazu, dass sich Systeme nicht verändern müssen, merkte Sonja Novak-Zezula kritisch an.

Wesselmann stellte ein strukturiertes System vor, in dem Pflegekräfte als Gesundheits-dolmetscherInnen eingesetzt werden. Voraussetzung ist eine umfassende Professionali-sierung des Prozesses: Diese umfasst die Schulung und laufende Fortbildung, die Freiwilligkeit, eine Tätigkeit außerhalb des Regeldienstes, klare Regeln für den Einsatz (z.B. Definition medizinischer Notfälle), eine klare Aufgabenteilung zwischen ÄrztInnen und DolmetscherInnen, klare Verhaltensanweisungen („Dos and Dont’s“), eine schriftliche Einwilligung der PatientInnen sowie eine regelmäßige Evaluierung des Systems.

Das Tabu des Sterbens sensibel meistern: Alter, Pflege, Tod in der Migration
Eine zukünftige Herausforderung für das Gesundheitssystem ist der Umgang mit Alter, Pflege, Sterben und Tod in der Migration. Weder das Aufnahmeland Österreich noch die ehemaligen GastarbeiterInnen selbst haben sich auf diese Themen eingestellt. So ist etwa zu bedenken, dass ältere oder demente Personen ihre erlernten Fremdsprachenkenntnisse wieder verlieren und daher oft die Verständigungsmöglichkeit wegbricht.

Auch Seelsorge war ein wichtiges Thema. Es braucht viel Sensibilität, um religiösen Menschen in der Phase von Krankheit oder Sterben geistigen Beistand anzubieten, gleichzeitig aber darauf zu achten, Menschen keine religiösen Angebote aufzudrängen, die sie vielleicht nicht wünschen. SeelsorgerInnen dürfen jedoch auch nicht dazu missbraucht werden, den Mangel an PsychologInnen in Krankenhäusern zu kompensieren, war sich das Podium einig.

Nicht Migration macht krank, sondern Armut und soziale Ausgrenzung
Siegrid Wistrcil und Ekim San weisen auf die vielfältigen körperlichen und seelischen Belastungen hin, denen Migranten und speziell auch Migrantinnen ausgesetzt sind. Nicht die Migrationserfahrung per se führt dazu, dass MigrantInnen im Schnitt kränker sind als die Mehrheitsbevölkerung, es ist vielmehr die ungünstige sozioökonomische Situation (Bildungs-benachteiligung, Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung sowie geschlechtsspezifische Faktoren wie Gewalt gegen Frauen), die hierfür verantwortlich ist. Strategien, die hier ansetzen, bringen also einen klaren Nutzen für alle Bürgerinnen und Bürger, die nicht unter den besten sozialen Voraussetzungen leben, und tragen somit zur Gerechtigkeit des Gesundheitssystems bei.

Die Wiener Neustädter Integrationsgespräche werden in Zusammenarbeit zwischen der Caritas Wien (Asyl & Integration NÖ) und der Stadt Wiener Neustadt veranstaltet und vom Land Niederösterreich, der niederösterreichischen Dorf- und Stadterneuerung, dem Europäischen Integrationsfonds und vom Bundesministerium für Inneres gefördert.
Alle Details zu den Integrationsgesprächen finden Sie unter: www.zusammenreden.net