Rege Publikumsbeteiligung und prominentes Podium bei der Auftaktveranstaltung in Neunkirchen
Rund 70 Menschen besuchten am 23. Februar den ersten von vier Themenabenden der Neunkirchner Integrationsgespräche, die von der Caritas der Erzdiözese Wien (Asyl & Integration NÖ) gemeinsam mit der Gemeinde Neunkirchen organisiert werden. Im Anschluss an die Österreich-Premiere des Films „Fatale Versprechungen“ (von K. und A. Rohrer) diskutierten Gerald Tatzgern vom BKA (Leiter der Zentralstelle für Schlepperkriminalität und Menschenhandel), Barbara Prettner, Geschäftsführerin des Autonomen Frauenhauses Neunkirchen gemeinsam mit Anneliese Rohrer, Journalistin und Produzentin des Films, zum Thema Geschlechterverhältnisse im Menschenhandel und die Situation in Österreich. Moderiert wurde der Abend im Sparkassensaal der Musikschule von der Caritas Projekt-Leiterin Mary Kreutzer, die selbst mehrere Bücher zum Thema verfasst hat.
Nach der Premiere des beeindruckenden Films, in dem Frauen und Männer von ihrer Versklavung in der Prostitution, der Apfelernte oder des Krabbenfangs erzählten, schildert Anneliese Rohrer von den Schwierigkeiten, mit Opfern in Kontakt zu kommen. „Aber es ist wichtig, diese Interviews zu machen und aufzuzeigen, was direkt hier, auch in Österreich, passiert“, bringt sie es auf den Punkt. Barbara Prettner berichtet davon, wie traumatisiert ihre Klientinnen im Frauenhaus Neunkirchen oft sind. „Zuerst muss man Vertrauen zu den Opfern aufbauen, dann kann der Heilungsprozess beginnen und dadurch der Selbstwert wieder zurück gewonnen werden.“ Sie betonte, dass es besonders für Migrantinnen oft schwierig ist, sich an öffentliche Einrichtungen zu wenden. „Zum einen sind sie durch die Sprache benachteiligt, zum anderen wirtschaftlich komplett abhängig.“ Besonders kontrovers wurde die Diskussion, als die Situation des Opferschutzes in Österreich zur Sprache kam. Gerald Tatzgern stellte klar: „Ein großes Problem ist das Nachweisen des Faktors ‚Ausbeutung’, ohne den kein Gerichtsverfahren zustande kommen kann: Kein Ermittlungsverfahren, kein Sachverhalt, kein Opferschutz.“ Moderatorin Mary Kreutzer wies in diesem Zusammenhang auf die Rolle der Staatsanwaltschaft hin: diese lege oft Verfahren nieder, obwohl die Opfer aussagen und untergrabe somit den Opferschutz. Die Justiz spiele im Menschenhandel in Österreich keine besonders positive Rolle, so Kreutzer.
Neben bestürzten Statements zum Film aus dem Publikum, wurden besonders Themen, die in der eigenen Gemeinde von Bedeutung sind, heiß diskutiert. So brachte Vizebürgermeister Martin Fasan die Sprache auf Zwangsverheiratungen junger Mädchen. Gerald Tatzgern bestätigte das Problem, man könne jedoch nur in Dunkelziffern sprechen. Barbara Prettner wies in diesem Zusammenhang auf die besonderen Schwierigkeiten von Betroffenen hin, aus einer solchen Situation auszubrechen „Sich gegen die eigene Familie zu wenden, das ist für die Mädchen so, als würden sie sich gegen ein eigenes Leben entscheiden.“ Betreuungsplätze in Frauenhäusern sind oft der einzige Ausweg – aber davon gebe es in Niederösterreich zu wenige. So mussten im letzten Jahr 150 Frauen abgewiesen werden, weil die fünf Frauenhäuser überfüllt waren.
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Projekt Neuland der Caritas der Erzdiözese Wien statt, das MigrantInnen, ÖsterreicherInnen und AsylwerberInnen in „Tandems“ zusammenbringt und so versucht, getrennte Lebenswelten zu durchbrechen. Die Integrationsgespräche werden vom Land Niederösterreich, dem Bundesministerium für Inneres und dem Europäischen Integrationsfonds gefördert.
Das nächste „ZusammenReden in Neunkirchen“ findet am 6. April im kleinen Arbeiterkammersaal statt. Die bosnisch-österreichische Politikwissenschaftlerin Dunja Larise wird gemeinsam mit Ernst Hofhansl (Evangelische Kirche Neunkirchen) und dem Islamlehrer der VS Steinfeld, Irfan Buzar die Frage „Ist Religion überhaupt eine Frage der Integration?“ diskutieren. Moderiert wird der Abend von Karima Aziz (Mitarbeiterin von Missing Link, Caritas der Erzdiözese Wien). Beginn: 18.30 Uhr.