Caritas: „Raus aus der ideologischen Sackgasse. Bildungsreform jetzt umsetzen!“

Küberl und Landau fordern von nächster Regierung Ausbau ganztägiger Schulformen und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. „Bildung ist beste Armutsprävention“

Die Nationalratswahl liegt hinter uns. Die beiden Regierungsparteien haben Stimmen verloren und verzeichnen das für sie jeweils schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik. Caritaspräsident Franz Küberl und Caritasdirektor Michael Landau führen das vor allem auch auf einen Punkt zurück: „Wir brauchen PolitikerInnen mit Mut und Visionen. Gerade in der Bildungspolitik muss der Stillstand der Vergangenheit angehören. Es geht um echte Reformen, um die Zukunft unserer Kinder und somit auch um unser aller Zukunft. Wenn es 2013 bereits als Erfolg gefeiert wird, dass ein neues Lehrerdienstrecht nach einer elfjährigen Verhandlungsphase und 34 erfolglosen Verhandlungsrunden in Begutachtung geschickt wird, ist dies ein vernichtendes Zeugnis für die Reformkraft dieser Republik.“ Beide sind sich einig: „Ganz gleich, wer das Land in den nächsten fünf Jahren regiert: Bei der Bildungsreform gilt es nun endlich und letztgültig vom Reden zum Tun zu gelangen. Die Zeit wird knapp. Die Herausforderungen sind enorm.“

300.000 Sekundär - Analphabeten und vererbte Bildungsarmut

Immerhin können immer mehr junge Menschen trotz positiven Pflichtschulabschlusses nur unzureichend lesen, schreiben und rechnen. BildungsforscherInnen schätzen, dass es mittlerweile etwa 300.000 funktionelle AnalphabetInnen in Österreich gibt. Während 21 Prozent der PflichtschulabsolventInnen  armutsgefährdet sind, sind es nur neun Prozent der Personen mit Matura. Mehr als die Hälfte der Wiener Arbeitslosen hat maximal einen Pflichtschulabschluss in der Tasche und österreichweit leben schon heute neun Prozent der Personen mit Pflichtschulabschluss in manifester Armut. Zum Vergleich: Bei Personen mit Matura sind es lediglich drei Prozent.
„Das sind keine Zahlen der Caritas, die wir hier zitieren“, betonte Landau. „Die Zahlen stammen aus dem Ministerium selbst. Und dennoch wird Bildungsarmut in Österreich noch immer vererbt. Das ist untragbar.“ Noch immer wechseln aus bildungsfernen Schichten nur 15 von 100 Kindern nach der Volksschule in ein Gymnasium. Bei Kindern von Akademikerinnen und Akademikern sind es hingegen 69 von 100. Und der Anteil der Studierenden aus niedrigen sozialen Schichten beträgt lediglich 18  Prozent. Im Jahr 1998 waren es noch 26  Prozent.
 
Klare Forderungen an die nächste Bundesregierung

Vor diesem Hintergrund präsentierten Küberl und Landau nun Caritas-Reformvorschläge für die nächste Legislaturperiode. „Die nächste Regierung muss Schulen als das begreifen, was sie sind: Als Werkstätten der Menschlichkeit und als Talenteschmieden“, so Landau. „Die Zahlen belegen es Schwarz auf Weiß: Bildung reduziert die Gefahr, arm zu sein, ganz wesentlich. Wir fordern: Alle Kinder und Jugendlichen müssen auf die Bildungsreise mitgenommen werden. Denn Bildung ist die beste Armutsprävention.“ Küberl ergänzt: „Bildung ist das Transportmittel für bessere Lebenschancen. Weitere fünf Jahre ohne Bildungsreform verstreichen zu lassen, ist schlichtweg verantwortungslos. Das Kind, seine Entwicklung und seine Zukunftsperspektiven sind dabei in den Mittelpunkt zu stellen: Die Würde des Kindes und die Wertschätzung gegenüber jedem Kind sind das Fundament, auf dem ein nachhaltig erfolgreiches Bildungssystem aufbaut.“

Konkret fordert die Caritas:

  1. Die Einführung eines zweiten, verpflichtenden und kostenfreien Kindergartenjahres in ganz Österreich. Dazu Landau: „Kindergärten müssen als erste Bildungsinstitution des Landes verstanden werden. Wir brauchen ein bundesweit einheitliches Rahmengesetz für diese Betreuungseinrichtungen: Gruppengröße, Öffnungszeiten, Personal- und Integrationsschlüssel, Dienstrecht und altersabhängiger Betreuungsschlüssel müssen österreichweit einheitlich und als Mindeststandard geregelt werden.“
  2. Eine flächendeckende Möglichkeit der Ganztagesbetreuung oder einer verschränkten Betreuung. Küberl: „Ganztägige Schulformen sind ein sehr wichtiges Angebot für Kinder bildungsferner Eltern. Daher sollen Eltern flächendeckend zwischen einer ganztägigen Schulform oder einem Angebot mit Nachmittagsbetreuung wählen können.“
  3. Die gemeinsame Mittelstufe der 10- bis 14-Jährigen. Um die Kinder optimal zu fördern und besser auf ihre Talente und Neigungen eingehen zu können, ist die frühe Lernwegsentscheidung zu beseitigen. Die notwendige Individualisierung des Unterrichts soll im Rahmen einer gemeinsamen Mittelstufe mit einem durchlässigeren Schulsystem das differenzierte Angebot in kleinen Lern- und Leistungsgruppen vorsehen.
  4. Ein effektives Frühwarnsystem gegen Schulabbruch einführen! 8.000 Jugendliche fallen laut einer IHS-Studie vom Juni 2009 pro Jahr aus dem Bildungssystem. Hier braucht es zeitgerechte präventive Maßnahmen und Interventionen im System zur rechtzeitigen Berufs- und Bildungsorientierung.