Flüchtlingsdrama - Zerstörung von Schlepperbooten "völlig lächerlich"

Hilfsorganisationen: "Mare Nostrum 2.0" von EU-Staats- und Regierungschefs gefordert - "Die Geschäftsgrundlage der Schlepper ist die Festungspolitik der EU"

 

Wien (APA) "Zynisch", "völlig lächerlich", "weltfremd" waren nur einige von zahlreichen negativen Kommentaren, die österreichische Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen am Mittwoch für den EU-Vorschlag Boote von nordafrikanischen Schleppern notfalls auch militärisch zu zerstören, übrig hatten. Unisono forderten sie stattdessen ein Seerettungsprogramm "Mare Nostrum 2.0".
 

Er sei "fassungslos", sagte etwa Caritas-Präsident Michael Landau bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien. Denn: "Zerstörte Schlepperboote werden nur durch noch wackeligere Boote und Schlauchboote ersetzt". Für Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International, ist der Vorschlag, den die europäischen Staats- und Regierungschefs dem Vernehmen nach bei ihrem Gipfel am Donnerstag in Brüssel beschließen wollen, "besonders zynisch": "Die Menschen haben schon bezahlt und sitzen in Lagern der Schlepper in Libyen. Wenn man die Boote zerstört, was passiert dann mit ihnen?"

 

Der falsche Weg, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden, ist die Zerstörung von Schlepperbooten auch für Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer. "Die Geschäftsgrundlage der Schlepper ist die Festungspolitik der EU," glaubt er. Gebe es legale Weg der Einreise für Schutzsuchende, "würde das Schlepperwesen in sich zusammenfallen". Es sei "ein Auswuchs der europäischen Politik".

Entsprechend forderten die Teilnehmer auch unisono ein "Mare Nostrum 2.0." von den Staats- und Regierungschefs. Unter dem Name "Mare Nostrum" lief bis Ende 2014 ein Rettungsprogramm der italienischen Marine für Mittelmeerflüchtlinge. Anfang 2015 wurde es durch das Programm "Triton" der EU-Grenzschutzmission Frontex ersetzt, das nicht nur einen wesentlich kleineren Teil des Mittelmeers abdeckt, sondern auch primär den Fokus auf Grenzschutz und nicht auf Menschenrettung legt.
 

Wenn die EU-Spitzen am morgigen Donnerstag den von den Außen- und Innenministern bei ihrem Treffen am Montag ausgearbeiteten Zehn-Punkte-Plan zur Flüchtlingsrettung beschlössen, müssten "die Punkte eins bis neun Flüchtlingsrettung lauten", so Patzelt. Die angekündigte Verdoppelung der monatlichen Mittel für "Triton" - gegenwärtig sind es rund drei Millionen - "kann man nur als gefährliche Drohung interpretieren", warnte er. Denn Triton würde zu einem "absurd späten Zeitpunkt Grenzen schützen".
 

"Mare Nostrum" hingegen habe den Bereich, indem am Montag ein Flüchtlingsfrachter gesunken ist und 800 Menschen starben, miteingeschlossen. "Das Einzige, was im Kampf gegen Schlepper funktioniert, ist ein qualitativ besseres Angebot zu einem besseren Preis", erklärte Patzelt. Kurzfristig könne er sich durchaus eine faire Verteilung der Geretteten in der EU - nicht nur nach Bevölkerungszahl, sondern auch nach Wirtschaftskraft oder Arbeitsmarktsituation - vorstellen. Langfristig müsse die EU erkennen, "dass die Krisenherde in Afrika ein zutiefst europäisches Problem sind" und diese stabilisieren.
 

Auf Ablehnung stieß einmal mehr der vor allem von Österreich und Deutschland propagierte Vorschlag, UNHCR-Asylzentren in Nordafrika zu errichten. Auch in den Nachbarstaaten Libyens sei das frühestens in zwei bis drei Jahren möglich, erklärte Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich. Außerdem: "Lager gibt es schon genug. Es fehlt an Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen". Gegenwärtig seien etwa bereits 800.000 Menschen beim UNHCR für Resettlement-, also Umsiedelungsprogramme, registriert. 2014 hätten jedoch nur 71.000 Menschen auf diesem Weg Asyl erhalten, der überwiegende Großteil, nämlich 64.000, in den USA, Kanada und Australien, lediglich 5.500 in Europa.
 

Der deutsche Menschenrechtsaktivist Elias Bierdel von "Borderline Europe" nahm auch die Medien in die Pflicht und rief zu kritischerer Berichterstattung auf. Etwa sei es "absolut einfach" Menschen von sinkenden Frachtern zu retten. Dafür bräuchte es sogenannte Rettungsinseln, die rund um das sinkende Schiff ins Wasser geworfen würden und an denen sich Ertrinkende festhalten könnten. Mit diesen würden Unglücke wie jenes vom Montag, bei dem Hunderte in Panik auf eine Seite des Frachters liefen, diesen so zum Sinken gebracht hatten und dann ertranken, nicht mehr passieren. "Diese kosten nur ein paar hundert Euro pro Stück, aber die Rettungsschiffe haben sie nicht!"
 

Die Caritas hat auf www.gegenunrecht.atein Petition online gestellt, um auf das Sterben im Mittelmeer aufmerksam zu machen. Gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen ruft sie zudem am Donnerstag um 11:55 Uhr zu einem Flashmob am Ballhausplatz auf.

Text APA